Eine Methode für brenzlige Situationen
Du arbeitest in der Jugendhilfe und erlebst es immer wieder, dass Jugendliche spucken, stehlen und andere mobben. Und du hast keine Ahnung, was du tun sollst?
Welche Assoziationen hast du bei dem Begriff „konfrontativer Pädagogik?“ Immer wieder erlebe ich es, dass Menschen denken: "die ist doch nur dafür da, um andere fertig zu machen.“
Das erfährst du im Artikel:
Was ist konfrontative Pädagogik?
Was bedeutet Konfrontation?
Die richtige Sprache finden
Die Grundelemente der konfrontativen Pädagogik
Und was sind Methoden der konfrontativen Pädagogik?
Coolness und Anti-Aggressivitäts-Training
Was sind die typischen Stolpersteine der konfrontativen Pädagogik?
Grenzen und Kritik an der konfrontativen Pädagogik
Du möchtest selbst konfrontative Pädagogik in dein Berufsleben integrieren?
Ist konfrontative Pädagogik die wertschätzenste Pädagogik überhaupt und welche Chancen stecken darin?
Viele Menschen glauben, dass eine Konfrontation mit destruktivem Verhalten, die Beziehung zu den Menschen schaden kann. Doch richtig angewandt, können die Methoden der konfrontativen Pädagogik die Beziehung vertiefen und gute Chancen sein. Sie kann ein Weg sein, wenn andere pädagogische Maßnahmen nicht mehr zum Erfolg führen.
Im Artikel findest du einige Gedanken, warum dieses nicht so ist. Du möchtest dir lieber ein Video über "konfrontative Pädagogik" ansehen? Dann schau dir gerne das Gespräch mit Ingo Melzer - Dozent für konfrontative Pädagogik und Instruktor für Selbstbehauptung und –verteidigung - an:
Wir sprechen darüber, warum konfrontative Pädagogik ihre Berechtigung hat und welche Chancen sie mitbringt.
Am Ende stellt Ingo Melzer noch eine praktische Übung zur Stärkung des Selbstwertgefühls vor, die du leicht in deinen Praxisalltag integrieren kannst.
Was ist konfrontative Pädagogik?
Du hast schon mal von „konfrontativer Pädagogik“ gehört, weisst aber nicht genau, was es ist? Dann bist du nicht allein, denn zu diesem Thema gibt es viele Missverständnisse.
Deshalb erstmal was sie nicht ist: sie ist keine abwertende Konfrontation und soll niemanden in Scham oder Schuldgefühlen belassen.
Was ist es denn? Konfrontative Pädagogik ist eine klare Haltung mit Herz, die auf Wertschätzung, Anerkennung und Vertrauen basiert und ohne ein gutes Beziehungs- und Vertrauensverhältnis nicht möglich ist.
Wichtig ist mir herauszustellen, dass die konfrontative Pädagogik eine klare Trennung von Person und Verhalten erfordert. Es geht darum Menschen mit den Folgen ihres Verhaltens zu konfrontieren, damit sie daraus lernen können, ohne sie dabei bloßzustellen.
Die konfrontative Pädagogik ist übrigens entstanden, weil viele aggressive Menschen und Gewalttäter*innen auf herkömmliche pädagogische Interventionen nicht ansprechen.
Was bedeutet Konfrontation?
Ingo Melzer stellt im Gespräch eine gewagte These auf: konfrontative Pädagogik ist die wertschätzendste Pädagogik überhaupt, da sie hinschaut und sich für sein Gegenüber interessiert. Spannender Gedanke, oder?
In diesem Sinne ist auch „Konfrontation“ zu verstehen, als ein „ich setze mich mit dir auseinander.“ Und nicht als Krawall oder Konflikt - hierin stecken viele Chancen, aus der Situation etwas heraus zu holen.
Wichtig ist, dass die Konfrontation kein Machtspiel wird, also nicht „Du machst jetzt, was ich will“, sondern es geht darum, dass die betreffende Person eine eigene Haltung zu ihrem Fehlverhalten entwickelt. Beharrlichkeit statt Macht - das ist hier das Stichwort.
Die richtige Sprache finden
Doch wie spricht man mit gewalttätigen und aggressiven Menschen? Hier ist es wichtig sich in die Lebenswelt der Klienten hineinzuversetzen und Metaphern zu
finden, die passen und für die Person greifbar sind.
Auch eine Überschneidung zur Erlebnispädagogik kann hier hilfreich sein.
„Welchen Weg willst Du gehen und wohin wird er Dich führen?“ kann ein Thema beim Waldspaziergang sein oder die Erfahrung beim Klettern kann aufzeigen, dass es sich lohnt durchzuhalten, auch wenn es zeitweise sehr anstrengend ist. So werden abstrakte Begriffe erlebbar.
Übrigens hat sich für mich selbst diese erangehensweise hat sich für mich in der Arbeit als Teamleitung einer erlebnispädagogischen Intensivwohngruppe als super erwiesen.
Die Grundelemente der konfrontativen Pädagogik
Konfrontative Pädagogik ist ein Begleiten mit dem obersten Ziel, dass es allen gut geht.
Dabei sind die Grundelemente Respekt, Achtsamkeit und Disziplin.
Werden diese eingehalten, geht es allen gut.
Was bedeutet Respekt?
Respekt wird oft sehr unterschiedlich verstanden.
Respekt bedeutet nicht, dass alle den Weg frei machen, wenn man den Pausenhof betritt.
Respekt bedeutet auch nicht, dass ich z.B. Respekt vor dem Motoradfahren habe – bei beidem ist oft Angst gemeint.
Respekt bedeutet vielmehr andere Menschen so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Die meisten Menschen werden nicht gerne angeschrien, also schreie ich auch niemanden anderen an.
Wenn ich nicht gerne geschlagen werde, schlage ich auch niemanden anderen. Und wenn ich nicht möchte, dass jemand ungefragt an meine Sachen geht, dann mache ich das auch nicht bei anderen.
Ich setze sogar noch einen drauf:
Mit Respekt behandle ich andere Menschen so, wie sie selbst gerne behandelt werden möchten. Stimmst du dem zu?
Wichtig ist auch sich in die Lebenswelt des Klienten hineinzuversetzen und zu sehen, dass ich es eventuell mit jemandem zu tun habe, der eine andere Auffassung von Respekt hat.
Deshalb ist es wichtig achtsam zu sein und diese verschiedenen Lebenswelten
anzuerkennen und gemeinsam zu definieren, wie Respekt in der gemeinsamen Beziehung aussieht. Darüber hinaus ist Respekt grundsätzlich nichts was man verhandeln kann oder sich verdienen muss.
Alle Menschen - auch Gewalttäter*innen, vielleicht sogar gerade Gewalttäter*innen - haben Respekt und Empathie verdient.
Achtsamkeit und die innere Haltung
Der nächste Grundstein der konfrontativen Pädagogik ist Achtsamkeit. Achtsamkeit hat viel mit Haltung zu tun.
Eine Haltung, die vor allem die Grenzen des Gegenübers achtet. Dazu muss ich aufmerksam sein, mit wem ich es zu tun habe und wie es dem Gegenüber geht.
Was bedeutet es eine eigene Haltung zu haben?
Dabei geht es weniger darum, die eine richtige Haltung zu entwickeln, sondern darum, überhaupt eine zu haben, zum Beispiel zum Thema Gewalt. Die einzige Rechtfertigung Gewalt anzuwenden ist Schutz – andere Menschen und sich selbst zu schützen.
Pädagog*innen sollten eine Haltung mitbringen, an denen sich Kinder und Klienten
orientieren können. Deshalb ist es wichtig, diese Haltung immer weiter zu entwickeln.
Disziplin und der innere Schweinehund
Außerdem basiert konfrontative Pädagogik auch auf Disziplin. Das bedeutet, dass jede*r sich an die bestehenden Regeln hält.
Das hat viel mit Durchhalten und sich Überwinden zu tun. Also: den inneren Schweinehund zu überwinden und auf den inneren Schiedsrichter zu hören.
Der innere Schweinehund tendiert dazu egoistisch zu sein und der innere Schiedsrichter achtet darauf, dass wir nicht vom Weg abkommen.
Kinder haben nichts davon permanent von außen reglementiert zu werden. Doch wenn Kinder lernen, auf ihren inneren Schiedsrichter zu hören, werden sie die innere Moralinstanz stärken. Das Gleiche gilt auch für Gewalttäter.
Den inneren Schiedsrichter zu stärken, stärkt auch die inneren Ressourcen.
Das hat viel mit Disziplin zu tun, die inneren Ressourcen zu erkennen und zu stärken. Am Ende gibt es dazu noch eine praktische Übung.
Und was sind Methoden der konfrontativen Pädagogik?
Wie jede pädagogische Methode besteht die konfrontative Pädagogik erst einmal aus einer Haltung. Das Ziel ist nicht "ich mache jemanden fertig" oder erzählte ihm/ihr, was sie tun soll. Ich denke, das ist in den vorherigen Worte deutlich geworden.
Diese Haltung darf erworben und auch immer wieder überprüft werden.
Zu den Methoden gehören
Kommunikationstechniken wie Beharrlichkeit und Konflikttgespräche führen
Programme mit Übungen (Selbstwert stärken, Grenzen (er)kennen, Gefühle benennen, Konflikte lösen, im Team zusammenwachsen, ruhig bleiben, auch bei Provokationen) wie Coolness- und Anti-Aggressivitätstraining
Eine umstrittene Methode ist der "heiße Stuhl". In diesem Setting sollen die Teilnehmenden lernen mit Kritik und körperlicher Nähe umzugehen. In meiner Ausbildung zur Konfrontationspädagogin habe ich diese Methode kennengelernt und saß auch auf dem heißen Stuhl. Es ist ca. 15 Jahre her und ich weiß heute noch, was dort passierte und mir um die Ohren flog. Es war gut angeleitet und ich hatte auch keine "schweren" Schandtaten. Dennoch weiß ich: sie tat mir nicht gut. Mit dem Blick auf die meist traumatisierten Jugendlichen habe ich diese Methode in diesem Setting noch nie angewendet.
Coolness und Anti-Aggressivitäts-Training
"Haben Sie Zeit für ein Anti-Aggressivitäts-Training?" Immer wieder höre ich das als Anfrage. Und wenn ich dann genauer nachfrage, wird klar: der Unterschied zwischen den beiden Trainingsarten ist häufig gar nicht klar.
Deshalb: ein Coolness-Training ist etwas Präventives. Die Klasse ist unruhig. Es fallen vielleicht Beleidigungen. Vielleicht ist aber auch "nur" Schuljahresbeginn und die Schüler*innen sollen zusammen-wachsen.
Ein Coolness-Training besteht aus verschiedenen Elementen: ICH - DU - WIR - OHNE GEWALT. So kannst du ein Training grob aufteilen. Es gibt Übungen zum Selbstwert stärken, Gefühle erkennen und benennen. Aber auch körperbetonte Spiele, um die eigenen Grenzen zu kennen und auch zu sagen. Dazu kommen kooperative Übungen, damit die Klasse zusammenwächst und es werden gemeinsam Regeln aufgestellt, Rituale festgelegt.
Ein Anti-Aggressivitätstraining setzt an einer ganz anderen Stelle an, nämlich dann. wenn es schon zu Übergriffigkeiten oder Tätlichkeiten gekommen ist. Ganz klassisch wäre das: ein Jugendlicher verprügelt jemanden. Das war nicht das erste Mal und es gibt vom Richter eine Auflage: ein Anti-Aggressivitätstraining.
Daher lautet die Antwort auf die Frage: haben Sie Zeit für ein Anti-Aggressivitätstraining? meist: für ein "Coolness-Training" ja. Ein Anti-Aggressivitätstraining ist nicht notwendig.
Was sind die typischen Stolpersteine der konfrontativen Pädagogik?
Ein paar Stolpersteine gibt es in der konfrontativen Arbeit schon. Wie schon gesagt, ist es wichtig, dass ein gutes Vertrauensverhältnis besteht. Ansonsten kann die Konfrontation mit dem Fehlverhalten mächtig schief gehen und die Beziehung verschlechtert sich dramatisch.
Außerdem braucht es eine klare innere Haltung und eine eindeutige Körpersprache.
Wer eine ernste Ansage macht und dabei lächelt, sendet nicht die gewünschte Botschaft und wird mit Sicherheit nicht ernst genommen.
Auch im Konjunktiv zu sprechen, also „könntest du bitte damit aufhören“ wird einen in ernsten Situationen eher ins „Aus“ befördern, als die Situation zu deeskalieren.
Grenzen und Kritik an der konfrontativen Pädagogik
Die Grenzen der konfrontativen Pädagogik?
Bei Kindern unter drei Jahren ist die konfrontative Pädagogik nicht anwendbar, danach ist sie dem Alter angepasst durchaus schon hilfreich. Eben überall, wo Erziehung bewusst passiert.
Die konfrontative Pädagogik ergänzt herkömmliche pädagogische Konzepte.
Konfrontiert man Jugendliche mit ihrem Fehlverhalten, kann es sein, dass diese genau wissen, was die betreuenden Pädagogen hören wollen, um aus der Situation herauszukommen. Hier gilt es nach meiner Erfahrung nach vorsichtig zu sein.
Die Methoden wirken auch nicht bei allen Menschen und nicht bei allen gleich: wo der eine Einsicht und Reue zeigt, macht die andere Person dann doch erstmal weiter und bleibt in der Gewaltspirale.
Du möchtest selbst konfrontative Pädagogik in dein Berufsleben integrieren?
Mein Tipp, wenn du selbst konfrontative Pädagogik anwenden wollen: machen mehr als ein Tagesseminar.
Selbsterfahrung ist elementar wichtig und erfordert kontinuierliche Weiterentwicklung. Auch die eigene innere Haltung zum Thema Gewalt, wo sie anfängt und wie man damit umgehen, ist nicht mal so eben gelernt. Die eigenen Themen anzuschauen ist Voraussetzung, um andere Menschen mit ihren Themen konfrontieren zu können.
Eine Übung, um Ressourcen und Selbstwert zu stärken
Und zum Schluss noch eine Übung aus dem Psychodrama, um den eigenen Selbstwert zu stärken und die eigenen Ressourcen zu erkennen. Oft fällt es Menschen schwer die eigenen Stärken zu erkennen und zu benennen.
Ein klassisches zum Beispiel ist das Nennen von Stärken in Bewerbungsgesprächen.
Was für eine positive Eigenschaft hat das Tier, die Du auch hast?
Lass den/die Klient*in Tiere aussuchen, die seine positiven Eigenschaften
widerspiegeln.
Nun verlässt, die betreffende Person den Raum. Währenddessen sucht eine andere Person die Tiere aus, die weitere positiven Eigenschaften der Person, die draußen wartet, verkörpern.
Dann soll die Person, um die es geht, wieder in den Raum kommen und herausfinden, warum die anderen Tiere vor ihm stehen und welche weiteren positiven Eigenschaften die Tiere für einen verkörpern. Am Ende stehen viele Tiere vor einem, die alle positive Eigenschaften darstellen, die einem selbst oft nicht bewusst sind, das wirkt wie eine warme Dusche.
Hi, ich bin Martina Kohrn - Konflikt- und Resilienztrainerin für Fach- und Führungskräfte aus Jugendhilfe, Kita und Pflege.
☑ Sei sicherer in Konflikt- und Krisensituationen.
☑ Gestalte ein starkes und humorvolles Miteinander im Team.
☑ Sichere Dir praxisnahes Handwerkszeug für mehr Ruhe und Gelassenheit.
Hier geht es zu:
☑ Coaching
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